Page 24 - Blutritt Weingarten 2017
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 Blutritt in Weingarten
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Was Oberschwaben ausmacht
Alljährlich, am Freitag nach Christi Himmelfahrt, dem „Blutfreitag“, findet im oberschwäbischen Weingarten der Blutritt statt. Von einem Priester wird eine kostbar gefasste Reliquie aus dem Kloster Weingarten durch die Fluren der Stadt getragen: die Blutreliquie, die der Tradition nach vom Boden Golgat- has stammt, der nach dem Lanzenstich des Longinus mit Christi Blut getränkt war. Sie kam im Jahr 1094 aus Man- tua an das 1056 gegründete welfische Hauskloster.
Weingarten wurde damit zum Wall- fahrtsort. Wohl erst im 15. Jahrhundert entwickelte sich daraus, parallel zur Fußwallfahrt, der Blutritt. Damit be- steht er wohl seit mehr als 500 Jahren. Tausende von Reitern – in den letzten Jahren jeweils um die 3000 – nehmen daran teil. Selbst wenn der Blutritt ver- boten war oder nicht stattfinden konn- te, riss die Tradition nicht ab. Inoffiziell vollzogen dann vielfach kleine Reiter- gruppen den Blutritt.
Wie ist dieser Blutritt einzuordnen? Welche Funktionen erfüllt er? Und was sagt er über die ihn tragende Region, über Oberschwaben aus?
Der Blutritt – mehr als ein frommes Ereignis
Zunächst einmal ist der Blutritt ein re- ligiöses Ereignis, ein frommer Brauch, kirchlich gefördert und weiterentwi- ckelt. Höhepunkte erreichte der Blutritt, mit üppiger Ausschmückung, immer
dann, wenn das besondere Katholische herausgestellt werden sollte: zuerst in der Barockzeit, im Zeichen der Gegen- reformation, als der Blutritt eine feste Form erhielt, mit uniformiertem Ge- pränge. Die damals neu gebaute groß- artige barocke Basilika (1715–1725) lässt sich „als eine Art Großreliquiar des Heiligen Bluts“ interpretieren (Hans Ulrich Rudolf).
Einen zweiten Aufschwung erlebte der Blutritt im 19. Jahrhundert, in der Zeit der demonstrativen Frömmigkeit im Rahmen des neuen Selbstverständ- nisses der damaligen katholischen Kirche. Der Blutritt sollte anzeigen, dass Oberschwaben ein gut katholi- sches Land ist, deutlich unterschieden in seiner Konfessionszugehörigkeit und den damit verbundenen Frömmigkeits- formen von Württemberg, dem die Region im Zuge der napoleonischen Neuordnung zugeschlagen worden ist. Somit stellt der Blutritt zum Zweiten ein Identifikationsereignis und -erleb- nis dar: Man bekennt sich zu Religion und Region, auch über die im Alten Reich bestehenden Untergliederungen hinweg.
Seinem Ursprung nach ist der Blutritt zum Dritten ein Öschumritt: ein Brauch, der das umrittene Land von bösen Geistern, höllischen, schädli- chen Einflüssen säubern sollte.
Die Volkskunde weist darauf hin, dass ursprünglich Schimmel für diesen Ritt besonders geeignet erschienen, da sich auf deren weißem Fell alles Dunk- le absetzen konnte. Im Zusammenhang dazu ist das Lesen der Anfänge der vier Evangelien an den vier Stationsal-























































































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